Liberale Phase (Oktober - Dezember 1792)

Nach dem Scheitern der gegenrevolutionären Invasion bei Valmy (20.9.1792) stießen französische Revolutionstruppen unter General Adam Philippe de Custine (1740-1793) von Landau durch die Pfalz und Rheinhessen auf Mainz vor, das sie nach fast kampfloser Belagerung am 21. 10.1792 besetzten; ihre Eroberungen auf dem rechten Rheinufer (Rheingau, Main-Taunus und Frankfurt am Main) gingen im Dezember 1792 wieder verloren. Als Besatzungsgebiete galten Kurmainz und die Reichsstädte Worms und Speyer, die gleichnamigen Hochstifte sowie alle kleineren Herrschaften zwischen Queich und Nahe. In den wittelsbachischen Territorien (Kurpfalz und das Herzogtum Zweibrücken), deren Herrscher sich für neutral erklärt hatten, waren auch einige französische Kontingente stationiert.

Der Mainzer Jakobinerklub

In Mainz, wo der Kurfürst, die hohe Geistlichkeit und der Adel vor Ankunft der Franzosen geflohen waren, gründeten am 23.10. 1792 (also schon zwei Tage nach der Kapitulation !) 20 Intellektuelle und Beamte einen Jakobinerklub, die " Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit" . In Worms und Speyer entstanden am 12./13.11. "Tochtergesellschaften", Während dem Mainzer Klub insgesamt mehr als 440 Deutsche beitraten (neben ca.50 Franzosen), kamen die Klubs in den beiden Reichsstädten über 60 bzw. 30 Mitglieder nicht hinaus. Auch waren sie dort sozial anders strukturiert: Bildeten in Mainz die Handwerker die größte Gruppe, so fehlten sie in Worms und Speyer fast ganz. In allen drei "Volksgesellschaften" aber lag die Führung ganz eindeutig bei den (z.T. beamteten) bürgerlichen Intelligenz, die auch Programm und Aktivitäten der Klubs bestimmten. In vielen Dörfern entstanden bald ebenfalls "Klubs", die jedoch mehr informelle Zirkel von ländlichen Revolutionsanhängern waren, die sich meist aus den örtlichen Eliten (vermögende Bauern, Schultheißen, Gerichtsmänner, Lehrer) rekrutierten. Die Beweggründe für den Eintritt in einen Jakobinerklub reichten vom idealistischen Wunsch nach politischer Umsetzung aufklärerischer Postulate, der Enttäuschung über Strukturen und Repräsentanten des feudla-aristokratischen "Ancien Régime", das Mitwirkungs- und Absicherungsstreben von Beamten bis hin zum bloßen Opportunismus. Während in den drei Städten die Existenz aufgeklärter Sozietäten (Freimaurer, Illuminaten und Lesegesellschaften) die Disposition zu revolutionärem Engagement förderten, geschah dies auf dem Land oft durch die "Politisierung" älterer Konflikte, etwa zwischen Kommune und Orts- bzw. Landesherrschaft, zwischen den Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte) oder der Kirchengemeinde und ihrem Pfarrer.

Verbrüdert mit den "Volksgesellschaften" in Paris, Straßburg und anderen französischen Städten sowie unterstützt von der Besatzungsmacht entfalteten die drei Jakobinerklubs, vorn jener in Mainz, eine außerordentlich große publizistisch-propagandistische Aktivität. so gab es in Mainz zeitweise sieben prorevolutionäre Blätter (Mainzer Nationalzeitung, Neue Mainzer Zeitung oder der Volksfreund, Der Bürgerfreund, Der fränkische Republikaner, Der Kosmopolitische Beobachter, Mainzer Intelligenzblatt), auch die reichsstädtischen Zeitungen (Wormser Nationalzeitung, Speyerer Wochenblatt) waren von den dortigen Jakobinern im revolutionären Sinn umfunktioniert worden. Über 100 Flugschriften und etliche Plakatdrucke mit teilweiser hoher Auflage popularisierten das revolutionäre Gedankengut, und durch gezielten "Export" fand es auch in den von Franzosen nicht besetzten Nachbargebieten Verbreitung.

Der Mainzer Jakobinerklub: Programm, Personen und Propaganda

Dieses auch in zahlreichen Klubreden entfaltete Programm der Mainzer Jakobiner war - natürlich in Anlehnung an das französische Vorbild - bürgerlich-demokratisch, denn es orientierte sich an den vorstaatlichen Menschenrechten, am Prinzip der Volkssouveränität, an der individuellen (geistigen, religiösen und ökonomischen) Freiheit und an der Rechtsgleichheit; eine soziale Gleichheit lehnten die Mainzer Jakobiner ausdrücklich ab. Die ideale Gesellschaft sollte nach ihren Vorstellungen von einer "heureuse médiocrité" im Sinne Rousseaus geprägt sein, also vom fleißigen, tugendhaften und dennoch selbstbewussten (Klein-)Bürger. Dem sollten sich auch Religion und Kirche unterordnen, die die Jakobiner (im Gegensatz zum Laizismus späterer Revolutionsjahre) nicht eliminieren, sondern instrumentalisieren wollten. Als Wir-Bewusstsein fungierte ein an den ideologischen (nicht an den sprachlich-kulturellen oder historischen) Gemeinsamkeiten orientierter "Patriotismus". Der emotionalen Mobilisierung für diese neue Ordnung diente - neben einem kurzlebigen "Mainzer Nationaltheater" - besonders die Pflanzung von Freiheitsbäumen, die besonders auf dem Land recht erfolgreich, weil sie auf das traditionelle Brauchtum ("Kerbe-Bäume") und religiöse Symbolik ("Baum des Lebens" ) zurückgriff. Exponenten dieser betont volkstümlich konzipierten Agitation waren drei Mainzer Professoren: der Mathematiker Mathias Metternich, der Mediziner Georg Christian Wedekind und der Philosoph Andreas Josef Hofmann. Der bekannteste Mainzer Jakobiner, der Weltreisende, Naturforscher und Schriftsteller Georg Forster (1754-1794) wirkte zunächst mehr in der"Allgemeinen Administration", an der Jahreswende 1792/93 aber schon als Präsident des Klubs und im März als Vizepräsident des Konvents. Die von Custine am 19.11.1792 eingesetzte "Allgemeine Administration" war für das gesamte, offiziell "befreite" Gebiet (also nicht für die kurpfälzischen und zweibrückischen Territorien) zuständig und wurde von dem ehem. Theologen Anton Josef Dorsch (1758-1819) geleitet. Sie war eines der wirksamsten Instrumente der "Revolutionierung", weil sie dazu den ‚Dienstweg' benutzen konnte, nachdem die bisherigen Beamten nur zu einer administrativen, nicht aber zu einer politischen Zusammenarbeit bereit gewesen waren. Auf lokaler Ebene sorgten die ebenfalls am 19.11. ernannten "Munizipalitäten" von Mainz, Worms, Speyer und Bingen für denselben Effekt. Sie wurden meist von erfahrenen Beamten, die zugleich Aufklärer gewesen waren , geleitet: von Ratzen und Macké in Mainz, von Winkelmann und Lewer in Worms sowie von Petersen und Reissinger in Speyer. Durch solche Männer bekam die "Revolutionierung" gewissermaßen amtlichen Charakter, der ihre Wirksamkeit aber noch erhöhte.

Reaktionen auf die Revolutionierung

Bei all ihrer revolutionsfreundlichen Propaganda und demonstrativen Unterstützung für die Jakobiner bestanden die "Allgemeine Administration" und ebenso die Munizipalitäten zunächst strikt auf dem von Custine am 23./25.10.1792 proklamierten Selbstbestimmungsrecht, das jede Änderung des politischen und sozialen Status quo von einem freiwilligen Mehrheitsentscheid abhängig machte. Die Übernahme der "fränkischen Konstitution", also der revolutionären französischen Staatsordnung, sollte nur mit Zustimmung der Befreiten geschehen. Unter diesen Vorzeichen führte die "Allgemeine Administration" im Dezember 1792 in Mainz und 40 benachbarten rheinhessischen Dörfern eine Abstimmung durch - die erste wirklich demokratische in Deutschland. Denn (wie bei den französischen Konventswahlen vom September 1792) konnten alle selbständigen erwachsenen Männer (ohne Rücksicht auf ihr Einkommen) abstimmen, wodurch das Wahlrecht fast allgemein wurde. Auf den meisten Dörfern entsprach das Ergebnis den Erwartungen der Jakobiner und Franzosen, doch in den Städten gab es zähen Widerstand. Er kam vor allem von den Zünften, die durch und durch konservativ gesinnt waren und sich in ihrer Stellung bedroht sahen; die Handelsbourgeosie lehnte die "fränkische Konstitution" ebenfalls ab und plädierte stattdessen für altständisch-frühliberale Reformen, stark an der ersten, konstitutionellen Phase der Französischen Revolution orientiert. In den beiden Reichsstädten kam hinzu, dass man sich dort ohnehin schon "frei" fühlte, d.h. dem korporativen Republikanismus den Vorzug vor einem individuellen Demokratismus gab. Weiterer Widerstand kam (schon Mitte November 1792) von der bürgerlichen Mainzer Geistlichkeit, die Distanz zu allen Ideologien halten und sich nicht vom "Revolutionschristentum" der Jakobiner vereinnahmen lassen wollte. Wenn es in Mainz und Umgebung auch einige "prêtres rouges" gab, die die Vereinbarkeit der "fränkischen Konstitution mit dem Katholizismus" predigten, so war doch die ablehnende Haltung der Mehrheit des katholischen Klerus gerade in den Landgemeinden besonders folgenreich. Das gilt auch für die meisten lutherischen Pfarrer, während die reformierten tendenziell eher für die Revolution zu gewinnen waren. Alles in allem fühlte sich aber die noch sehr kirchentreue Bevölkerung durch die Geistlichen in ihrer ablehnenden, bisweilen auch nur abwartend-opportunistischen Haltung bestärkt. Dazu trugen freilich auch die - nach anfangs betont "volksfreundlichem" Verhalten der Franzosen - steigenden Besatzungslasten, die unsichere Kriegslage (Rückeroberung Frankfurts durch die Deutschen am 2.12.1792) sowie die nun einsetzende gegenrevolutionäre Propaganda bei.

 
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